Was erwartet euch? Ich werde hier alle paar Wochen eine Storyline oder ein Thema aussuchen, das die NFL gerade bewegt. Diese Story Line werde ich intensiv beleuchten und meine Überlegungen dazu schildern. Außerdem versuche ich die Bedeutung dieser Überlegungen für die Packers herauszuarbeiten. Natürlich werde ich dabei auch die ein oder andere steile These aufstellen – seid gespannt!
Storyline: Die NFL geht back to the 80s
Nach drei Spieltagen hört man an allen Ecken die Aussage, die NFL sei auf dem besten Weg zurück in die 80er und 90er Jahre. Die Passing-Stats gehen rapide nach unten, die Rushing-Stats nähern sich wieder den Zeiten an, als noch Walter Payton und Emmit Smith durch die Defenses gepflügt sind. Aber ist das wirklich so? Oder ist das nur ein Symptom einer sich verändernden NFL? Schauen wir uns das genauer an!
Richtig ist: die high-power passing Offenses wie zum Beispiel die Chiefs 2022 finden diese Saison so nicht mehr statt. Der Eye-Test lässt vermuten, dass mehr auf Run Plays gesetzt wird und im Passing Game mehr die kurzen und intermediate Routes angeworfen werden. Einige Zahlen unterstützen diese These auch. So werfen die Teams diese Saison im Schnitt nur 31,1 Pässe pro Spiel, ein Wert so niedrig wie zuletzt 1992. Noch eklatanter wird der Vergleich beim Blick auf die Passing Touchdowns: nur 118 davon gab es bis einschließlich Woche 3, 2020 waren es zu diesem Zeitpunkt bereits 172. Adrian Franke hat dies in seiner Kolumne auf sport.de sehr genau herausgearbeitet: https://www.sport.de/news/ne7107536/adrian-franke-kolumne-was-ist-los-mit-den-offenses-in-der-nfl/
Warum ist das so?
Die Gründe dafür sind meiner Ansicht nach erheblich vielfältiger, als man auf den ersten Blick meinen könnte. An erster Stelle steht eine radikale Veränderung der Defense-Strategien in der NFL. Teams sind auf dieser Seite des Balls viel besser auf Passing Plays eingestellt. Das liegt auch daran, dass Defenses insgesamt dynamischer geworden sind. Kaum ein Team setzt noch durchgängig auf eine bestimmte Base-Defense, ist also auf eine 3er oder 4er Front festgelegt. Die Aufstellungen sind volatiler geworden, die präferierten Spieler-Typen sind nicht mehr eindimensional einsetzbar, sondern füllen je nach Anforderung des Plays unterschiedliche Rollen aus.
In diesem Beispiel wird der Offense eine klare Man Coverage gezeigt, die dann mit dem Snap sofort zu einer Zone-Coverage wird. Aber nicht nur das, auch die Spieler, die in Coverage droppen, sind nicht die, die man erwarten würde.
Für Offenses bedeutet das: In den wenigsten Fällen gibt es noch das eine Rezept, das funktioniert. Run- und Pass-Game müssen ineinander greifen, Playcaller müssen kreativ sein, dabei aber einen roten Faden verfolgen. Und natürlich werden Play Action, Motions, Run-Pass-Options und Co. immer wichtiger, um auch die Defenses vor schwerer lösbare Aufgaben zu stellen.
Wie kann das gelingen?
Das bringt uns zur Kernfrage: Wie gewinnt man heute in der NFL möglichst viele Spiele?
Es beginnt natürlich nach wie vor under-center. Idealerweise brauchen erfolgreiche Teams einen Quarterback, der in der offensiven Struktur gut funktioniert – einen high-end Game Manager. Im Bestfall bringt dieser dann noch mindestens einen guten individuellen Threat mit. Er ist vielleicht selbst eine Waffe im Run-Game (Lamar Jackson, Jalen Hurts, Jayden Daniels), hat besonders gute Accuracy auch bei herausfordernden Pässen (Patrick Mahomes, Matt Stafford) oder kann Plays durch seine Art die Defense zu lesen bereits früh antizipieren oder künstlich verlängern, wenn es nötig wird (Aaron Rodgers).
Dazu braucht es noch möglichst flexible Waffen. Wide Receiver und Tightends, die auch Blocking-Aufgaben übernehmen können, Running Backs mit Ballcatcher Skills, O-Liner die sowohl Pass- als auch Rush-Plays schützen können.
Das alleine hilft aber noch nichts ohne einen Playcaller, der das ganze in Szene setzen kann.
Viele der heute so erfolgreichen Play Caller stammen aus dem Shanahan Tree. Shanahan selbst, Sean McVay, Robert Saleh, DeMeco Ryans und natürlich Matt LaFleur. Sie alle zeichnet aus, dass sie ihr Scheme permanent weiterentwickeln, sich ein wahres Schachspiel mit dem gegnerischen DC liefern und immer versuchen, neue Plays zu designen, dabei aber ähnliche Looks für unterschiedliche Spielzüge anbieten. Kurz: Den Defenses den Read so schwer wie möglich zu machen.
Gegen die Titans ist der Touchdown von Emanuel Wilson ein Paradebeispiel dafür:
In diesem Play sieht mit dem Snap alles nach einem Pass-Play in Richtung der rechten Seite aus. Die O-Line schiebt entsprechend, ein Pull-Blocker wird ebenfalls in diese Richtung geschickt. Emanuel Wilson kreuzt als einziger gegen diese Bewegung und kriegt den schnellen Screen nach Links. Die Defense hat damit nicht gerechnet und konnte es auch nicht anhand des Looks antizipieren. Das öffnet auf der linken Seite ausreichend Raum, um mit den jetzt dort platzierten Blockern zum Touchdown zu laufen.
Und was hat das mit den Packers zu tun?
Damit sind wir dann auch bei den Packers und der Frage: Was bedeutet diese Entwicklung für Green Bay und wie gut ist man darauf vorbereitet?
Spätestens nach Woche drei habe ich den Eindruck: bestens! Das Front Office scheint diese Entwicklung bereits früh antizipiert zu haben und vieles ist bereits darauf ausgerichtet:
Die offensiven Waffen sind – so glaube ich – die am breitesten aufgestellte Gruppe dieser Art in der NFL. Vier Receiver, die allesamt mindestens Nummer zwei Potential haben. Dazu zwei Tight Ends, die blocken, laufen und fangen können. Im Passspiel fehlt zugegebenermaßen eine klare Nummer 1, aber braucht es die wirklich, wenn das Scheme vor allem darauf ausgelegt ist, eben gerade nicht ausrechenbar zu sein? Ich glaube nein.
Auch das Run Game scheint entgegen meiner Erwartung vor der Saison in der Tiefe gut aufgestellt zu sein. Josh Jacobs Qualitäten sind unbestritten. Mit Emanuel Wilson hat dahinter jetzt ein junger Spieler den nächsten Schritt gemacht. Spätestens gegen die Titans sah er wie eine legitime Nummer zwei aus. Auch Marshawn Lloyd hat bereits angedeutet, dass er wichtig werden kann, wenn er wieder fit ist.
In der O-Line hat man sich schon seit geraumer Zeit die Freiheit genommen, ordentlich durchzurotieren. Teilweise war das auch verletzungsbedingt nötig (David Bakhtiari), aber ich habe mehr und mehr das Gefühl, LaFleur möchte keine zu 100% feststehende O-Line-Besetzung haben. Dementsprechend wurde die letzten Jahre zumindest gedraftet. Rasheed Walker und Zach Tom sind beides technisch sehr versierte Spieler. Elgton Jenkins kann fast überall in der Line spielen. Mit Josh Myers auf Center und Sean Rhyan wird die Starting Five komplettiert. Dahinter werden aber mit Dillard, Monk, Morgan und Glover aber auch weitere vielversprechende Talente reinrotiert. Das heißt nicht, dass es keine präferierte O-Line-Besetzung gibt, aber man versucht hier offenbar die Flexibilität zu haben, unterschiedliche Spieler-Profile abhängig von den Notwendigkeiten im Play zumindest verfügbar zu haben.
Natürlich kommt eine intensivere Rotation in der O-Line auch immer mit der Gefahr der fehlenden Routine. Die Frage ist, ob man hier die notwendige Balance findet. Spätestens nach Woche 3 denke ich, das gelingt schon sehr gut!
Ich habe eingangs davon gesprochen, dass alles mit dem Quarterback beginnt. In Jordan Love haben wir – ich denke da sind wir uns nach der zweiten Hälfte der 2023er-Saison einig – eine langfristige Lösung gefunden. Er setzt LaFleurs Vorstellungen nicht nur “brav” um, sondern hat auch einen richtig starken Arm, ist mittlerweile zumindest meistens äußerst akkurat und schreckt auch nicht davor zurück, im Zweifel mal selbst die Beine in die Hand zu nehmen. Scheinbar hat er in den Jahren hinter Aaron Rodgers auch gelernt, Defenses gut bis sehr gut zu lesen und bekommt die Freiheit, im Zweifel auch mal einen Call zu ändern, wenn es notwendig und sinnvoll ist. Mehr kann man sich nicht wünschen.
Was mich aber sehr überrascht hat, ist die Tatsache, dass man in Malik Willis einen Backup-Quarterback, der done war, auf ein Niveau gehoben hat, wovon andere Teams teilweise auf dem Starter-Posten nur träumen können. Ich will hier nicht zu früh zu euphorisch werden, aber man kann glaube ich getrost sagen: In dieser Saison müssen wir keine Angst davor haben, dass Love mal ein bis zwei Spiele ausfällt und wir damit die Saison abhaken können. Ein Achievement, dass man Front-Office und Coaching-Staff nicht hoch genug anrechnen kann.
Was können wir also erwarten?
Das klingt alles zu gut, um wahr zu sein? Vielleicht. Und wir werden trotz allem Optimismus nicht automatisch “auf Jahre hinaus unschlagbar” sein, um es mal mit Kaiser Franz zu sagen. Wir dürfen getrost damit rechnen, dass es auch in dieser Saison nicht in jedem Spiel alles vollständig ineinander greift. Darum geht es auch nicht, ich würde sogar sagen, diesen Zustand kann man nicht erreichen.
Aber: Diese Herangehensweise sollte uns die beste Chance geben, langfristig im Contender-Kreis zu sein. Oder anders gesagt, maximiert der aktuelle Packers-Weg die Chance darauf, die Vince Lombardi Trophy nach Hause zu holen. Wer hätte das vor 2 Jahren erwartet?
Epilog
Ich weiß, ich hänge mich mit meinen Thesen hier weit aus dem Fenster und es kann gut sein, dass ich nicht vollständig richtig liege. Ich würde mich aber freuen, eure Meinungen zu diesem Thema zu hören und zu diskutieren. Kommt gerne in den Discord und schreibt mich an!
Wenn euch die Kolumne gefällt und ihr Ideen oder Anregungen für die nächste Ausgabe habt, lasst mich das ebenfalls gerne wissen!